Eingehen auf konkrete Bedürfnisse
Zunahme der Fälle und Massnahmen des Erwachsenenschutzes
Seit 10 Jahren steigt im Kanton Genf die Anzahl der Erwachsenenschutzfälle stetig an (+72% zwischen 2011 und 2021). Gleiches gilt für die häufigsten Schutzmassnahmen, insbesondere Vertretungsbeistandschaften und fürsorgerische Unterbringungen.
Gleichzeitig mit der Reform von 2013, deren Ziel es war, weniger Schutzmassnahmen anzuordnen zu müssen und ihren Impakt zu vermindern, ist das Schutzbedürfnis verschiedener Bevölkerungsgruppen gestiegen, vor allem der Generation der inzwischen in die Jahre gekommenen Baby-Boomer, die mittlerweile mehr als ein Drittel aller Fälle ausmachen, in denen das Gericht eingreift.
Durch eine Anpassung der Schutzmechanismen sollen kantonalen Massnahmen den Bedürfnissen der schutzbedürftigen Personen besser entsprechen.
Tätigkeitsbericht 2023 der Genfer Justiz
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Operative Führung der Mandatspersonen
Das im Februar 2021 gestartete Projekt Gestion des mandataires RePAir (GMR) soll die Führung und Begleitung der vom Erwachsenen- und Kindesschutzgericht (TPAE) beauftragten Mandatspersonen verbessern und die Grundsätze definieren, die für die hauptsächlich angeordneten Mandate, in erster Linie also für Beistandschaften und Nachlassverwaltungen (Friedensgericht) gelten.
Es sei in Erinnerung gerufen, dass der Schutz der natürlichen Personen während ihres gesamten Lebens, von der Kindheit über das Erwachsenenalter bis zum Erbfall, dem Erwachsenen- und Kindesschutzgericht (Friedensgericht) obliegt. Dieses greift ein, wenn innerhalb der Familie, bei nahestehenden Personen oder spezialisierten Institutionen keine zufriedenstellende Lösung für die hilfs- und schutzbedürftige Person gefunden werden kann. Es ordnet Schutzmassnahmen unter der doppelten Voraussetzung an, dass die betreffende Person selbst zur Wahrung ihrer Interessen nicht fähig ist und eine Unterstützung durch nahestehende Personen oder öffentliche und private Einrichtungen nicht ausreicht.
Im Rahmen des Programms Gestion des mandataires (Operative Führung der Mandatspersonen, GMR) sollen aus Richtern und Richterinnen sowie Mitarbeitenden des TPAE und Vertretungen der weiteren Partner (private Mandatspersonen, Erwachsenen- und Kindesschutzbehörde OPAd und SPMi) zusammengesetzte Arbeitsgruppen verschiedene Projekte in die Praxis umsetzen, und zwar im Zusammenwirken mit dem Programm RePAir.
Das Programm GMR umfasst folgende Handlungsstränge:
- Grundsätze – Definition der auf die Mandatsverwaltung anwendbaren Regeln und Grundsätze: Rekrutierung, Ernennung, Bestimmung der Aufgaben der Mandatsperson und Nachfolge; Ausarbeitung von Mechanismen zur Optimierung der Mandatsumsetzung;
- Register der Mandatspersonen – Erstellung eines Registers, in dem sämtliche relevanten Informationen über alle privaten und professionellen Mandatspersonen zusammengefasst sind, insbesondere um konkret diejenige zu identifizieren, die in Anbetracht der Bedürfnisse der zu schützenden Person und der Besonderheiten des Einzelfalls am besten für die Aufgabe geeignet ist;
- Begleitung der Massnahme und regelmässige Evaluierung der konkreten Situation der schutzbedürftigen Person – Überprüfung der Regeln betreffend die Aufsicht über die Tätigkeit der Mandatspersonen in Genf und Ausarbeitung eines neuen Kontrollmodells;
- Vereinfachung des Datenaustausches mit dem Office de protection de l’adulte (Erwachsenenschutzbehörde, OPAd) und dem Service de protection des mineurs (Kindesschutzbehörde, SPMi) – Verbesserung der Effizienz des Austausches von Daten und Schriftstücken im Rahmen der vom TPAE an verschiedene Partner (in erster Linie OPAd) übertragenen Betreuungen, und zwar durch Digitalisierung von Dokumenten und Arbeitsabläufen. Schnittstellen (Interfaces) zwischen dem neuen System und denjenigen der Partner sollen den Austausch von Informationen und Dokumenten vereinfachen.
Stand der Arbeiten
Das neue Register der Mandatspersonen wird gegenwärtig vom TPAE erstellt
Es zentralisiert alle wesentlichen Informationen die helfen, die in Anbetracht der spezifischen Bedürfnisse der schutzbedürftigen Person am besten geeignete Mandatsperson zu bestimmen; ausserdem soll das Register einen besseren Überblick aller laufenden Schutzmassnahmen des TPAE sicherstellen. Längerfristig ist es als Instrument der Mandatsverwaltung gedacht, das gleichzeitig die Tätigkeit des TPAE begleitet.
Neue Arbeitsabläufe und Überprüfung der Merkblätter und Formulare
Die überarbeiteten Dokumente für Mandatspersonen (Formulare, Musterberichte, Wegleitungen, Merkblätter) werden den Beistandspersonen nach und nach auf der entsprechenden Internetseite zur Verfügung gestellt, und zwar zunächst die verschiedenen Musterformulare für Berichte und Abrechnungen (Rechenschaftsberichte).
RePAir: Die Zukunft des Erwachsenenschutzes überdenken
Um dem Erwachsenenschutz im Kanton Genf zu verbessern, haben das Département de la cohésion sociale und die Genfer Justiz im Januar 2023 das ehrgeizige Programm Repenser la Protection de l'Adulte pour l'Avenir (Die Zukunft des Erwachsenenschutzes überdenken, RePAir) auf den Weg gebracht. Es soll den Schutz von stark hilfsbedürftigen Personen in den Bereichen Verwaltung, Recht, Soziales, Medizin oder Finanzangelegenheiten verbessern, bis diese – wenn möglich – ihre Selbstständigkeit wiederfinden. Gleichzeitig muss, so weit wie möglich, ihr Recht auf Selbstbestimmung gewahrt werden.
Es geht darum, die kantonalen Mechanismen des Erwachsenenschutzes grundlegend zu überdenken, um Schutz und Begleitung der hilfsbedürftigen Person zu verbessen, wenn diese ihre Interessen nicht mehr eigenverantwortlich wahrnehmen kann und eine Unterstützung durch Nahestehende und private oder öffentliche Einrichtungen nicht mehr ausreicht.
Ziele
- Die Umsetzung des Verhältnismässigkeits- und des Subsidiaritätsprinzips* soll gefördert werden.
- Die Qualität der Begleitung der schutzbedürftigen Person soll verbessert werden.
- Das Risiko, dass nach Aufhebung einer Schutzmassnahme die betroffene Person erneut schutzbedürftig wird, so dass eine weitere Massnahme angeordnet werden muss, soll eingedämmt werden.
Dieses transversale Programm deckt einen weiten Bereich ab ; seine Realisierung erfordert folglich eine weitreichende Koordination nicht nur mit allen Partnern, sondern auch mit den anderen laufenden Projekten.
* Gerichtliche Schutzmassnahmen dürfen nur angeordnet werden, wenn die der hilfsbedürftigen Person Nahestehenden bzw. die zuständigen privaten oder öffentlichen Dienste keinen ausreichenden Schutz garantieren können ; ausserdem müssen die Massnahmen erforderlich, geeignet und angemessen sein.
Stand der Arbeiten
Verschiedene, sich ergänzende Blickwinkel
Nach einer ersten Konsultationsphase mit allen Partnern, um Ziele und Umfang der Reform zu bestimmen, haben die Genfer Justiz und das Département de la cohésion sociale detaillierte Analysen verschiedener Themen des Erwachsenenschutzes erstellt.
Dazu gehört insbesondere eine Befragung der von einer Schutzmassnahme betroffenen Personen und der Partner des sozio-medizinischen Netzwerks. Die Analysen beziehen sowohl demographische Prognosen als auch interkantonale Vergleiche zur künftigen Datenentwicklung ein. Sie berücksichtigen ferner verschiedene Hypothesen in den Bereichen verfügbare Ressourcen, rechtliche Rahmenbedingungen sowie Untersuchungs-, Begleitungs- oder Schulungsmodalitäten.
Alle diese Analysen tragen zum Aufbau eines soliden Wissensfundaments bei, auf das zurückgegriffen werden kann, um gemeinsam mit allen Beteiligten innovative Lösungen auszuarbeiten, die die schutzbedürftige Person in den Mittelpunkt stellen.
Umsetzung des Subsidiaritäts- und Verhältnismässigkeitsprinzips
Arbeiten zu einem neuen Informationskonzept im Bereich der Erwachsenenschutzmassnahmen sind derzeit im Gange. Dieses verfolgt das doppelte Ziel, einerseits effizient, kohärent und koordiniert über den gesamten Massnahmenkatalog zu informieren, und andererseits die Genfer Bevölkerung anzuregen, Massnahmen der eigenen Vorsorge (Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung) zu treffen. Dadurch wird ohne jeden Zweifel das Recht auf Selbstbestimmung gefördert und die Thematik der Hilfs- und Schutzbedürftigkeit entstigmatisiert.
Im Einklang mit der Revision der Dritten Abteilung des Zivilgesetzbuchs «Der Erwachsenenschutz» sollen die laufenden Arbeiten auf kantonaler Ebene auch eine Stelle bestimmen, bei der Vorsorgeaufträge – eventuell auch Patientenverfügungen – registriert werden können.
Im Rahmen eines Pilotprojekts mit der Stiftung Pro Senectute testen das Département de la cohésion sociale und die Genfer Justiz gleichzeitig den Einsatz eines Mechanismus zur Prüfung der sozialen Verhältnisse, in denen die von der Massnahme betroffenen Personen leben; letzteres würde einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung des Subsidiaritäts- und des Verhältnismässigkeitsprinzips leisten.
Verbesserung der Qualität der Begleitung einer verbeiständeten Person
Um eine unter Beistandschaft stehende Person besser zu begleiten, wollen das Département de la cohésion sociale und die Genfer Justiz das Spektrum der Beistandspersonen erweitern, indem insbesondere im Rahmen eines Pilotprojekts Beistandschaften von der Stiftung Pro Senectute übernommen werden. Breiter gefasst handelt es sich darum, die Kriterien für die Ernennung zur Beistandsperson sowie für die Vergütung ihrer Dienste zu überprüfen und eventuell zu revidieren.
Fragen und Antworten
Das Programm RePAir (Repenser la Protection de l'Adulte pour l'Avenir, Die Zukunft des Erwachsenenschutzes überdenken) wurde vom Département de la cohésion sociale und der Genfer Justiz im Januar 2023 auf den Weg gebracht. .
Es verfolgt hauptsächlich drei Ziele:
- Die Umsetzung des Verhältnismässigkeits- und des Subsidiaritätsprinzips* soll gefördert werden.
- Die Qualität der Begleitung der schutzbedürftigen Person soll verbessert werden.
- Das Risiko, dass nach Aufhebung einer Schutzmassnahme die betroffene Person erneut schutzbedürftig wird, was eine weitere Massnahme erfordern würde, soll eingedämmt werden.
* Gerichtliche Schutzmassnahmen dürfen nur ergriffen werden, wenn die der hilfsbedürftigen Person Nahestehenden bzw. die zuständigen privaten oder öffentlichen Einrichtungen keinen ausreichenden Schutz garantieren können ; ausserdem müssen die Massnahmen erforderlich, geeignet und angemessen sein.
Um die stark hilfsbedürftigen Personen besser zu schützen : Die stetige Zunahme der Bedürfnisse eines Teils der Bevölkerung, nämlich der Senioren und der jungen Erwachsenen, hat eine Zunahme der beimTribunal de protection de l'adulte et de l'enfant gemeldeten Fälle zur Folge, vor allem seit der Pandemie COVID-19. Dabei stellte sich heraus, dass zum einen nicht nur die Anzahl der hilfsbedürftigen Personen ständig ansteigt, sondern auch deren Bedürfnisse zunehmen, und dass zum andern die Umstände immer komplexer werden.
Folglich ist auch die Anzahl der vom TPAE angeordneten und dem Office de la protection de l’adulte oder privaten Beistandspersonen übertragenen Massnahmen gestiegen, die allerdings nur angeordnet werden, nachdem das Gericht alle Umstände des Einzelfalls geprüft und festgestellt hat, dass sie konkret erforderlich sind.
Indem sie auf drei Ebenen Wirkung entfaltet, nämlich
- vor der Entscheidung des TPAE, ob eine Massnahme abgeordnet wird oder nicht,
- während der Dauer der Massnahme und
- nach Aufhebung der Massnahme,
trägt die Reform dazu bei, die Begleitung der hilfs- und schutzbedürftigen Personen während ihres ganzen Lebens zu verbessern,
- indem die Information über die verfügbaren Ressourcen in den Bereichen soziale Massnahmen und Erwachsenenschutzmassnahmen verbessert wird,
- indem durch Einführung eines Mechanismus zur Meldung schon vor Anordnung einer Massnahme innovative Begleitmassnahmen bereitgestellt werden
- und schliesslich, indem die Kriterien bezüglich Ernennung und Vergütung der Beistandspersonen überprüft werden ebenso wie ihre Begleitung und Unterstützung.
Letztlich geht es darum, die am stärksten gefährdeten Personen besser zu schützen.
Das Programm Gestion des mandataires RePAir (GMR) soll im Wesentlichen drei Gruppen zugutekommen:
- den hilfsbedürftigen Personen : Um ihren Interessen besser gerecht zu werden, soll das Programm GMR ermöglichen, dass in Anbetracht der Bedürfnisse und der Lage der schutzbedürftigen Person die am besten geeignete Mandatsperson ernannt wird ;
- den Mandatspersonen : Es werden klare Informationen auf Internet bereitgestellt und ihre Beziehungen zum Gericht werden vereinfacht ;
- dem Gericht : Interne Abläufe werden klarifiziert und optimiert, was den schutzbedürftigen Personen, den Mandatspersonen und den Mitarbeitenden des TPAE zugutekommt.
Ungefähr 1:4, d.h. etwa eine Beistandsperson auf vier ist eine nahestehende Person. Das Programm Gestion des mandataires will dieses Verhältnis zugunsten der nahestehenden Personen verändern.
Um die Bedürfnisse aller Beteiligten besser zu berücksichtigen und die Relevanz der Ergebnisse zu garantieren, hat die Justiz ein Gremium aus Mandatspersonen zu den Arbeiten beigezogen.