Die Schweizer Kantone und die Eidgenossenschaft haben unter Federführung ihrer Justiz- und Exekutivbehörden gemeinsam die digitale Wende initiiert.
Die Entwürfe
Die digitale Wende betrifft die rund 300 kantonalen (erst- und zweitinstanzliche Zivil-, Straf- und Verwaltungsgerichte) und die Bundesgerichte in der Schweiz, die Staatsanwaltschaften der Kantone und der Eidgenossenschaft (Bundesanwaltschaft) sowie den Schweizerischen Anwaltsverband und die kantonalen Anwaltskammern.
Voraussetzung für die digitale Wende ist ein angemessener gesetzlicher Rahmen auf kantonaler und Bundesebene. Ausserdem müssen die Arbeitsabläufe der Justizbehörden, ihre Informationssysteme, die Arbeitsplätze der Richter und Richterinnen und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie die Sitzungssäle angepasst werden.
Im Februar 2023 hat der Bundesrat den Eidgenössischen Räten als Rechtsgrundlage auf Bundesebene den Entwurf eines neuen Bundesgesetzes über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (BEKJ) unterbreitet. Dieser legt die Rahmenbedingungen für die elektronische Kommunikation und Akteneinsicht fest und listet die notwendigen Änderungen des Bundesverfahrensrechts auf. Die Kantone ihrerseits müssen ihr kantonales Recht, insbesondere ihr Verwaltungsverfahrensrecht anpassen.
Ferner haben die Eidgenössische Justizkonferenz, bestehend aus Vertretern und Vertreterinnen der eidgenössischen und kantonalen Gerichte, und die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) das gesamtschweizerische Projekt Justitia 4.0 lanciert, um so weit wie möglich gemeinsam die Umsetzung der digitalen Wende in der Justiz voranzutreiben. Ziel dieses Projektes ist vor allem, eine zentrale Justizplattform für den elektronischen Rechtsverkehr und die Akteneinsicht, Justitia Swiss, aufzubauen.
Das gesamtschweizerische Projekt will nicht selbst die digitale Wende der einzelnen Justizbehörden umsetzen, sondern überlässt diese Aufgabe den Kantonen. So verfolgt beispielsweise die Genfer Justiz ein eigenes internes Projekt, die elektronische Justizakte, das Arbeitsabläufe, Informationssystem, Ausstattung, Sitzungssäle und Arbeitsplätze der Richter und Richterinnen und der Mitarbeitenden der digitalen Zukunft anpassen soll.
Der Zeitrahmen des Projektes ist noch vorläufig und hängt vom Vorankommen der gesetzgeberischen Arbeiten ab. Das Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz wird frühestens 2025 oder 2026 in Kraft treten.
Inhalt des Entwurfs
Der Entwurf eines Bundesgesetzes über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (BEKJ) legt die Rahmenbedingungen für die elektronische Kommunikation und Akteneinsicht fest und passt das Bundesverfahrensrecht an. Er regelt insbesondere
- die Pflicht der Justizbehörden, die Akten elektronisch zu führen,
- die Pflicht der Justizbehörden, mit der Anwaltschaft und anderen professionellen Beauftragten elektronisch zu kommunizieren,
- die Pflicht der Anwaltschaft und anderer professioneller Beauftragten, ihrerseits mit den Justizbehörden elektronisch zu kommunizieren und die Akten elektronisch einzusehen, sowie
- die Möglichkeit einer elektronischen Kommunikation und Akteneinsicht durch natürliche und juristische Personen.
Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (KR-N) hatte ihre Arbeit Anfang September 2023 abgeschlossen. Der Nationalrat nahm den Gesetzesentwurf am 23. September 2023 an, der Ständerat am 10. September 2024, jeweils mit verschiedenen Änderungen. Somit geht die Vorlage jetzt ins Differenzbereinigungsverfahren.
Das Bundesrecht wird eine Übergangsfrist vorsehen, bevor die genannten Pflichten befolgt werden müssen.
Die Kantone haben innert dieser Frist ihre jeweiligen Verfahrensgesetze anzupassen.
Die Plattform Justitia.Swiss und die e-Justizakte-Applikation
Das Projekt Justitia 4.0 verfolgt insbesondere das Ziel, eine sichere Justizplattform Justitia.Swiss zur elektronischen Abwicklung des Rechtsverkehrs (Kommunikation und Akteneinsicht) zwischen den Verfahrensbeteiligten aufzubauen. Die Ende 2022 begonnenen Arbeiten, an denen sich die Genfer Justizbehörden aktiv beteiligen, dauern noch an.
Weiter sieht das Projekt Justitia 4.0 vor, eine technische Lösung für das effiziente und benutzerfreundliche Arbeiten mit der digitalen Akte zur Verfügung zu stellen, nämlich die e-Justizakte-Applikation (JAA), die die kantonalen und eidgenössischen Justizbehörden übernehmen können. Die Genfer Justizbehörden, neben denen der Kantone Bern und Aargau, haben im Laufe des Jahres 2022 an der im Rahmen von Justitia 4.0 durchgeführten Machbarkeitsstudie teilgenommen.
Als zentralen Pfeiler enthält das Projekt Justitia 4.0 ferner einen Katalog von Begleitmassnahmen, die Eidgenossenschaft und Kantone bei der digitalen Wende unterstützen sollen (Projekt Transformation). Diese müssen durch speziell auf die Genfer Justiz zugeschnittene Massnahmen ergänzt werden.
Test der Plattform Justitia 4.0 durch das Genfer Zivilgericht
Das schweizweite Projekt Justitia 4.0. hat eine Grundversion der Plattform Justitia-Swiss entwickelt, das nun in die Pilotphase im Praxisbetrieb bestimmter Justizbehörden eintritt. Die durch die praktische Anwendung der Plattform gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse sowie die Rückmeldungen sollen in die Weiterentwicklung der Plattform einfließen und schliesslich die schweizweite Einführung des Regelbetriebs erlauben.
Die Genfer Justizleitung hat als Pilot ihr Zivilgericht vorgeschlagen, das diese Grundversion der Plattform im Praxisbetrieb testen soll. So wählen seit September 2024 drei Kammern des erstinstanzliche Zivilgerichts bestimmte Verfahren aus, in denen einige Funktionalitäten der Plattform unter realen Voraussetzungen angewendet werden, vor allem
- die Übermittlung von Schreiben, Schriftsätzen und Beweisstücken durch die Anwaltschaft an das Gericht,
- die Eingabe und Zustellung von Handlungen und Entscheiden von Seiten des Gerichts sowie
- die Möglichkeit, in gewissem Umfang Akten zur Einsichtnahme online zur Verfügung zu stellen.
Die Pilotphase erlaubt, in diesen Bereichen das ordnungsgemässe Funktionieren der Plattform zu überprüfen und den Grad der Anwenderzufriedenheit festzustellen.
Die Genfer Anwaltskammer unterstützt das Vorgehen durch ihre Mitarbeit. Sie setzt sich vollumfänglich dafür ein, die Anwaltschaft bei den auf sie zukommenden einschneidenden Umstellungen zu unterstützen.
Die «eAkte»
Das Projekt eJustizakte wurde von den Justizbehörden entwickelt, um die digitale Wende der Genfer Justizzu verwirklichen. Es ergänzt das gesamtschweizerische Programm, das nicht zum Ziel hat, die kantonalen Behörden bei der konkreten Umsetzung der Reform zu unterstützen.
Der Entwurf eines Loi d’investissement du projet eDossier judiciaire zur Finanzierung der digitalen Wende der Genfer Justiz wurde vom Grand Conseil am 27. Januar 2023 angenommen.
Über den Genfer Beitrag zum Projekt Justitia 4.0 hinaus dienen die genehmigten Mittel der Anpassung
- des Informationssystems der Genfer Justiz, also der Neugestaltung der vorhandenen Applikationen, der Einbeziehung der künftigen eJustizakte-Applikation und der Schnittstellen für die Anbindung der nationalen Plattform Justicia.Swiss,
- der Arbeitsabläufe, die durch den Wechsel von der Papierakte zur elektronischen Akte notwendig wird,
- der Software und der zur Digitalisierung von Dokumenten notwendigen Ausrüstung,
- der Arbeitsplätze und Sitzungssäle, in Zusammenarbeit mit dem Office cantonal des bâtiments,
- der Infrastrukturen des Office cantonal des systèmes d’information et du numérique, insbesondere der durch die Umstellung auf die eAkte notwendigen Erhöhung der Datenspeicherkapazität.
Ferner sollen die Mittel eingesetzt werden zur Finanzierung
- des Wechsels zur digitalen Archivierung,
- der Digitalisierung der laufenden Justizverfahren sowie
- der Begleitmassnahmen zur digitalen Wende.